Schlimm genug, denn die steigenden Nahrungsmittelpreise haben nicht nur Auswirkungen auf den Endverbraucher in Deutschland, sie gehen in erster Linie mit katastrophalen Folgen für große Teile der Entwicklungsländer und schließlich auch für deren politische Stabilität einher. Denn gerade für die rund zwei Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern, die den größten Teil ihres Einkommens für Grundnahrungsmittel ausgeben müssen, bedeuten Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln gravierende Einschränkungen bis hin zu Erkrankung und Tod. Diese negativen Konsequenzen aus der zunehmenden Nahrungs- und Rohstoffspekulation lassen sich schon heute beobachten: Während sich an der Rohstoffbörse in Chicago beispielsweise Reis um 38 Prozent, Weizen um 46 Prozent und Mais seit 2009 sogar um 100 Prozent verteuert hat, ist laut dem jüngsten Report zur globalen Ernährungssituation der Vereinten Nationen die Zahl der Hungernden im Jahr 2010 um 10 Prozent auf 925 Millionen gestiegen.
Diese Entwicklung birgt nach Einschätzung des scheidenden Weltbank-Chefs Robert Zoellick nicht nur die Gefahr von zunehmendem menschlichem Leid, sondern auch von sozialem Aufruhr und neuer Hungerrevolten.
Die negativen Auswirkungen der Finanzspekulation mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln zeigen sich zunehmend auch bei vielen Industrie- und Nahrungsmittelunternehmen. So haben viele Unternehmen immer häufiger mit steigenden Kosten – und aufgrund der deutlich erhöhten Volatilität – mit signifikanten Kalkulations- und Planungsproblemen zu kämpfen. Dies führt dazu, dass die grundsätzlich wichtige Funktion von Warenterminmärkten, nämlich Unternehmen u.a. gegen zukünftige Preisrisiken abzusichern, zunehmend durch reine Finanzspekulation konterkariert wird, da das verstärkte Engagement der Finanzindustrie auf den Rohstoffmärkten nicht mehr nur die notwendige Liquidität, sondern eine zunehmende Instabilität mit langfristig zunehmenden Kosten der Absicherung und eine weitere Quelle der Unsicherheit für reale Produktionsentscheidungen und damit die Konjunkturentwicklung bedeutet.
Gleichzeitig müsste sichergestellt werden, dass dem Absicherungsinteresse von Produzenten und Unternehmen auf den Warenterminmärkten entsprochen wird. Die Ausgestaltung der Mindesthaltefristen und Positionslimits muss derart erfolgen, dass die Absicherung physischer Geschäfte für die Realwirtschaft möglich bleibt.
Hubert Weber, Chef des europäischen Kaffeegeschäfts von Kraft Foods, warnt beispielsweise offen vor neuen Preisblasen, die die gesamte Weltwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen können. Unterstützt wird er hierbei von Raimund Röseler, oberster Bankenaufseher der Finanzaufsicht Bafin, der auch erst kürzlich vor einer neuen Spekulationsblase auf den Rohstoffmärkten warnte.
Tatsächlich ist das Engagement der Finanzindustrie auf den Rohstoffmärkten einschließlich Indexfonds und Zertifikaten von 26 Mrd. US-Dollar im Jahr 2003 auf über 400 Mrd. US-Dollar im Jahr 2011 gestiegen.
Laut Deutscher Bundesbank sind Rohstoffmärkte als Folge der Suche nach Renditen inzwischen Ziel umfangreicher Finanzanlagen, wobei sich an dieser zunehmenden Finanzialisierung nicht nur Hedgefonds und Indexfonds, sondern auch große, internationale Banken sowohl als Eigenhändler als auch als Marktmacher im außerbörslichen Bereich (OTC) betätigen.
Ähnlich wie die Entwicklung auf den Finanzmärkten im Allgemeinen, entfernt sich durch den enormen Zustrom von Kapital auch die Preisbildung auf den Warenderivatemärkte immer stärker von den realwirtschaftlichen Fundamentaldaten.
Diese Entkopplung, die u. a. an der mangelnden Konvergenz der Terminpreise zu den Spotpreisen zum Ausdruck kommt, führt zu verheerenden sozialen, ökonomischen und stabilitätspolitischen Verwerfungen, die dringend einer politischen Regulierung bedürfen. Denn wesentlich gravierender als die fehlende fundamentale Nachvollziehbarkeit sind die negativen Auswirkungen der zunehmenden Finanzspekulation auf den Warenderivatemärkten in der realen Welt, d. h. im Alltag vieler Menschen.
Nach der Finanzkrise kommt die Nahrungsmittelkrise und Verursacher sind in diesem Fall auch wieder deutsche Banken, Hedgefonds und die Mehrheit des Deutschen Bundestages in Form von CDU/CSU und FDP.
Ein entsprechender Antrag der SPD zur Änderung dieser Politik wurde im Deutschen Bundestag abgelehnt. (siehe Tagesordnungspunkt 29 im amtlichen Protokoll der 187. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, dem 28. Juni 2012)