Liebe und Veganer - was will M. Günther von der FAZ uns eigentlich sagen?

Samstag, 04 Oktober 2014 10:39

Liebe und Veganer - was will M. Günther von der FAZ uns eigentlich sagen?

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Totale Liebe = Totaler Krieg: der gedruckte Terror der Kantinenphilosophen

Es ist grundsätzlich löblich, wenn sich Journalisten auf das besinnen, was sie tun sollten: ihren Lesern die Welt erklären. Aber natürlich gibt es gute und schlechte Erklärungen. Und solche, die sich ein Schreiberling gern mal aus den Fingern zu saugen scheint, weil es ihm gerade so passt. Oder weil er - beeinflusst von seiner Umwelt, seinem Leben und dem daraus resultierendem Zy-, Alkohol- oder Opportunismus - in der Kantine ein Sprüchlein zu den großen Fragen der Welt verlautbart hat, das wiederum ein Kollege mit einem analogen „gefällt mir“ als ausgezeichnet gekennzeichnet und gefragt hat: „Machste da was zu?“ (Aus oben genannten Gründen. Oder weil er sich lächelnd denkt: „The joke is on you.“)

Und dann sagt der Kantinenphilosoph, dass er ganz sicher „etwas zu“ mache, eigentlich sei das schon fast fertig („Nicht, dass mir hier jemand die Story klaut, he, he.“) und lässt sich vom unbezahlten, neurotischen Praktikanten Material zum Thema aus dem Archiv holen. Schlussendlich wird er aber wieder im Internet recherchieren, dort gibt es schließlich den feinen kleinen Helfer „Str+f“. ed2ce0b5963f4daca6ca6f0f10b41b78

Digital is the new black. Aber analog passt halt so schön zur Retroreporterbrille. Dann wird fleißig getippt, dem Chef die Sauce als moderne Gesellschaftskritik verkauft und am Abend kann man damit sowie mit den paar Kröten, die man als "Tschurnalist" mit Sauce verdient, in der Kneipe oder in der Küche hausieren gehen.

Dieses Szenario ist freilich frei erfunden. Ergo hat es nichts mit den Realbedingungen zu tun, unter denen jener FAZ-Artikel von Markus Günther entstanden ist, den ich gleich zwei Mal lesen musste, so überrascht war ich. Das journalistische Hirn von Herrn Günther beschäftigt sich offenbar wie ein Seziermesser mit dem Thema Liebe. Passt auch ganz hervorragend zwischen einer erneuten Durchnudelung der Veganer oder dem Vergleich (ebenfalls von Herrn Günther) zwischen der Tea Party und der AfD, wobei Markus G. feststellt, dass es zwar Parallelen gebe, aber eben auch Unterschiede. Da wird doch der nichtvegane Hund in der Pfanne verrückt. Der Titel seines Liebesessays lautet: „Ersatzregligion Liebe“ (http://goo.gl/5ro4jZ).

Der Journalist Günther zitiert dabei gern und häufig. Unter anderem bemüht er den Psychoanalytiker Erich Fromm, der vor einer „Pseudoliebe“ warnt – und vor der erotischen Liebe als „der trügerischsten Form der Liebe“, denn diese Liebe sei in Wirklichkeit „ein Egoismus zu zweit.“ Fromm war drei Mal verheiratet.


Es ist schön, wenn sich jemand mit den Schriften von Herrn Fromm beschäftigt. Aber das muss er nicht der ganzen Welt mitteilen. Außer in diesem Fall, weil der Journalist Günther freilich seine Theorien durch Sätze und Thesen bekannter Denker beweisen möchte. Vor allem, dass die Liebe in Wahrheit der reine Egoismus und Narzissmus sei. Und ganz wichtig: eine Ersatzreligion.

Günther hat recht damit, dass durch die Liebe ein eigener, großer Industriezweig entstanden ist. Allerdings schreibt er in seinem Artikel ganz ernsthaft so viel über Marktwert und Körperkapital, dass er seine materialistischen und kapitalistischen Gedanken entblößt. Ergo dürfte er auch eigentlich kein Gegner der Liebesindustrie sein. - Noch dazu, wo auch er mit diesem Thema nun ein paar Kröten verdient hat.

Nicht die Liebe ist „schuld“ an ihrer Vermarktung, sondern die vermarktenden Menschen. Und selbst wenn die allesamt zynische Kackbratzen sind, so ändert das nichts an der Wahrhaftigkeit der Liebe und an den wahrhaften Gefühlen der Liebenden.

Die von Günther (teilweise zurecht) negativ erwähnten Partnervermittlungen gibt es hauptsächlich, weil die Menschen in unserem System durch den Beruf gezwungen sind, jede Minute mobil und flexibel zu sein. Wie soll sich jemand, der ständig wegen der Karriere wie die wilde Sau durch die Städte getrieben wird, ein beständiges soziales Umfeld aufbauen und wie den Liebsten finden?

Der Teufel steckt also mal wieder im System unserer Marktwirtschaft, die in Wirklichkeit die Ersatzreligion unserer Zeit geworden ist. Wie sonst könnte ein Mensch behaupten, dass er seit dem Erwerb eines Gumm-iPhone 6 endlich glücklich sei?

Doch Günther rattert davon unbenommen eifrig Beweise für seinen Glaubenssatz No love, just chemistry! herunter. Dafür zitiert er auch Morgan Scott Peck, seines Zeichens Psychiater, Psychotherapeut und Schriftsteller, der sich in einem Werk darüber ausließ, welche Entwicklungsphasen eine Gemeinschaft durchlaufen muss, damit sie arbeitsfähig wird. Also wieder ein Jünger des Leistungszwangs. Peck war zwei Mal verheiratet. Seine erste Frau ließ sich aufgrund seiner Untreue von ihm scheiden.

Andere Beweise sucht Günther in Umfragen: „Fragt man dann weiter, was genau denn glücklich mache, stehen 'Liebe/Partnerschaft' immer an erster Stelle. Kinder, Familie, Freunde, Beruf und Erfolg liegen weit dahinter.“ Allerdings ist die Liebe doch notwendig, um eine Familie zu gründen, Freunde, Glück und – im besten Fall – den richtigen Beruf (als Berufung) zu finden.

Menschen reichen Markus G. als Rechtgeber allerdings nicht, deshalb benützt er sogar Gott: „Merke: Wer den Gott Liebe für sich in Anspruch nimmt, hat immer recht.“ Er sollte, wenn er den Namen des Herrn gebraucht, daran denken: Für Gläubige ist Gott die Liebe.

Und selbstverständlich ist die Liebe „also doch eine Glaubensfrage“, wie Herr Günther lakonisch hingetippt hat. Und die Nichtgläubigen heißen Zyniker. Sie sind die Terroristen der menschlichen Gemeinschaft. Die wahren Egoisten, die nicht an sich und andere glauben, die kein anderes Individuum mehr als sich selbst zu lieben vermögen, sprich: Diejenigen, die, wenn sie doch einen Partner haben, mit diesem beim Essen lediglich über das Essen und den Wein sprechen und andere Menschen durch diesen Anblick in höchstem Maße deprimieren.

Jeder gesunde Mensch hat das Bedürfnis, geliebt zu werden, bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Und falls er sich weiterentwickelt, hat er ebenfalls das Bedürfnis zu lieben. Wenn nicht, dann ist er ein Egoist und Narzisst.

Markus Günther beschwor in diesem Jahr übrigens in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unter dem Titel „Nur noch Analphabeten“, dass die „Welt von morgen“ keine Menschen mehr brauche, die lesen und schreiben können. „Das Ende der Schriftkultur hat begonnen.“ Genau! Und Schuld daran sind die Türken oder Salafisten oder die Linken, auf jeden Fall aber die Einwanderer/Flüchtlinge, die zu blöd waren, um Deutsch als Muttersprache zu lernen. Hier sei angemerkt, dass viele deutsche Journalisten demnach auch Flüchtlinge sein müssen. Allerdings könnte die Angst vor den Analphabeten begründen, warum Günther aller Welt mitteilen muss, was er so liest, um zu zeigen: „Ey Leute, ich kann lesen! Oh! Und schreiben. Dann schreib ich gleich hin, dass ich lesen kann. Dufte.“

Der prägnanteste Satz des lesenden Schreibers in seinem Liebesartikel lautet: „Besser Liebe total als totaler Krieg, oder?“

Die Printmedien brauchen gar nicht jammern, dass sie aussterben, wenn sie so einen Quark drucken, bei dem man denkt: „Scheiß drauf - ja, dabei wäre das Papier besser verwendet worden.“

Wir dürfen aber gespannt sein, was laut unseren Journalisten wie diesem Exemplar hier noch alles vor die Hunde geht. Mit dieser Schwarzseherei dürfen wir uns dann ablenken, von Politik, unserem Bedürfnis, frei zu denken, dem vielbeschworenen Glück und der Liebe.

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Andrea Limmer

Freie Journalistin