Was muss er auch so ungeduldig sein, der Tsipras. Es geht schließlich nur um Griechenland. Nicht um Deutschland oder Frankreich. Aber es zeichnet sich ja eh ein Silberstreif ab (Stand: Dienstag), am europäischen Horizont. Obwohl es eigentlich mehr ein goldener Streif ist, in dem lustige Euro-Zeichen glitzern.
Es ist wirklich gefährlich, wie gerade mit Griechenland und dem Leben der Griechen gepokert wird. Dazu kommt noch die Anti-EU-Stimmung, die von allen Seiten angeheizt wird – sogar im Europäischen Parlament, zum Beispiel durch Lucke und seine alter-nativen Gefährten.
Während ich mich durch die diversen Nachrichten wühle, lese ich obendrein, dass 2014 die Anzahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten in Deutschland den höchsten Stand seit 2008 erreicht hat. Sie sind laut Verfassungsschutzbericht um 23,6 Prozent gestiegen. Und vor allem die Angriffe auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte haben zugenommen.
Aber zwischen diesen Gedanken und allen Eilmeldungen, erreicht mich die wohl aufregendste Nachricht dieser Tage: Unsere Achselhöhlen werden „befreit“, durch #Free-Your-Pits. Und, da dies von „Spiegel“, dem „Focus“ oder der „taz“ verbreitet wird, muss es politisch und gesellschaftskritisch relevant sein. Besonders der Spiegel zeichnet sich doch dadurch aus, dass er politisch wie gesellschaftskritisch versiert und kompetent ist. Vom Spiegel erfährt man immer sofort, wenn mal wieder die Welt untergeht. Das ist gut, denn so habe ich Zeit, meinen Rucksack zu packen, um mich in Sicherheit zu bringen. Und, hurra!, ich muss jetzt nicht mal mehr meinen Rasierer einpacken, für die große Flucht.
Übrigens schreiben freilich auch die Boulevard-Blätter über diesen Trend. Nur ist der Anspruch an jede Zeitung unterschiedlich.
Es wäre nun tatsächlich schön, wenn diese Free-your-pits-Sache etwas mit Befreiung und dem Weg zur längst verlorenen Natürlichkeit zu tun hätte. Denn dieser Komplettrasur, der sich viele unterwerfen, haftet freilich der Geruch eines gestörten Selbstbildes an. Körperhaare zeigen, dass ein Mensch geschlechtsreif wird und von der infantilen in die adoleszente Phase übertritt (zumindest körperlich).
Leider spricht gegen diese Haarfärberei erstens, dass es eine rein weibliche Kampagne ist. Also Männer können schon mitmachen. Sie brauchen es aber nicht. Ich hab zumindest keine Bilder von Männern mit gefärbten Achselhaaren gesehen. Erst recht kein Pendant zu Madonna und ihrer Schwesternschaft. Bilder von Männern am Grill findet man dagegen sehr viele.
Und das zeigt wieder einmal schön deutlich das Ungleichgewicht der heutigen Zeit zwischen Mann und Frau. Männer könnten sich auch dauernd von irgendwas „befreien“. Nur brauchen sie es anscheinend nicht. Der gemeine Otto Normalhans kann getrost archaisch am Grill ein Stück totes Tier wenden, ohne sich von einem Klischee oder dem Etikett „Sexismus“ stören zu lassen. Nein, er grinst und denkt über die Sauce zum Fleisch nach – und vielleicht noch über Lady Gagas Fleischkleid.
Der Mann, mag manch eine denken: eine unerklärliche Hommage an die Einfachheit des Seins.
Eine Grill-Your-Shits-Challenge wäre übrigens schön. Bilder von Menschen, die auf dem Grill verbrennen, was sie in ein bestimmtes Rollenbild drückt. Oder auch tagtägliche Propaganda, sei es gesellschaftlich oder politisch.
Zweitens gibt es gleichzeitig zum gefärbten Schweißfänger bereits einen neuen Trend, namens „Belly-Button-Challenge“. Die Aufgabe dabei ist, eine Hand hinten um den Rücken herum zu schieben und auf den Bauchnabel zu legen. Wer diese intellektuell anspruchsvolle Herausforderung nicht meistert, ist zu dick. So lautet jedenfalls das wissenschaftlich sicherlich belegte Urteil der Schöpfer dieser „challenge“.
Was passiert: Frauen, vor allem junge Frauen, posten Fotos von sich, wie sie ihre Hand auf ihren Bauchnabel pressen. Meistens ohne Gesichter freilich. Gesichter sind so 90er, die interessieren niemanden mehr. Erstaunlicherweise findet man auch Bilder von Männern, die diesen „Trend“ mitmachen. Wiewohl sie mehr ironisch wirken, denn bemüht.
In den 90ern gab es für uns damaliges Jungvolk übrigens auch eine „Challenge“. Man musste seinen Ellbogen ablecken. Allerdings ist der, der es versucht hat, ausgelacht worden. Die Belly-Buttoners werden geliked.
Und wie immer marschiert sofort ein Gegentrend daher, initiiert vom britischen Unterwäsche-Label „Curvy Kate“. Dieses fordert Frauen auf, sich an die rechte Brust zu fassen, dies zu fotografieren und online zu stellen. Damit, so der Gedanke, stehe Frau zu ihrem Körper. (Ja, es sind nur die Frauen aufgefordert, obwohl auch viele Männer hier mitmachen könnten.) Außerdem darf man dies als Aufruf verstehen, dass sich Frauen regelmäßig hinsichtlich Brustkrebs durchchecken lassen sollen. So haben alle was davon, Frauen können sich liken lassen und Männer können liken. Allerdings gilt auch hier wieder: Männer brauchen das nicht – es gibt bereits diverse Magazine, in denen Frauen zeigen, was sie haben, ohne, dass dahinter ein gesundheitlicher Aspekt die Fahne der Moral schwenken muss.
Drittens darf man nicht vergessen: Diese Diskussion über die Rasur jedweder Körperhaare betrifft nur Menschen, die nicht in Not sind. Ja, denen es vielleicht ein bisschen zu gut geht. Flüchtlinge, Menschen an oder unter der Armutsgrenze und alle anderen, die von der Gesellschaft so gern vergessen werden, grübeln sicher nicht darüber nach, ob sie sich rasieren, waxen oder dies bleiben lassen sollen. Sie denken darüber nach, zu überleben.
Man muss über vieles reden. Bedächtig, anständig und klug. Aber wirklich frei in unserem Denken, Handeln und Dasein miteinander sind wir erst, wenn das Hauptthema nicht unsere Achselhaare sind.