Elend, Leid und Tod ganz bürgerlich betrachtet

    14 Februar 2014 Autor :  

    Bürgerliche Wurschtigkeit: Sicher ist nur der Tod

    Die Strategie „Scheiße in hübschen Dosen“ geht jeden Tag im Supermarkt auf, indem man Kunden mit sogenannten „grünen“ Logos suggeriert, dass die Nahrung in den bunten Verpackungen gut für uns ist, weil gesund und „funktional“. Diese Verkaufsstrategie funktioniert allerdings auch über die Menge. 20 Prozent mehr frittierte Kartoffelscheiben – wer kann da schon nein sagen? Unlängst konnte man auf ZDF Neo eine Dokumentation sehen, die zeigte, wie uns die Lebensmittelindustrie seit Jahrzehnten gezielt krank, fett, einsam und dumm macht.

    Hinsichtlich der Politik stellt sich die Frage: Huhn oder Ei? Wer hat zuerst den vulgären Marktschreier gemimt, Händler oder Regent, wenn er sagt: „Gib mir Geld, ich gebe dir was ganz Tolles. Überdies hast du eigentlich keine Wahl, weil du das Ding hier brauchst. Dafür arbeitest du doch außerdem, damit du dir kaufen kannst, was du brauchst. Und wenn du nicht zufrieden bist, kommst halt einfach wieder, dann reden wir drüber.“

    Leider sind die Händler dann in Haiti und alles, was von ihnen bleibt, sind Briefkästen auf denen dubiose Namen stehen. Die Politiker wiederum sind auch nicht mehr zu sprechen, weil auf politischer Mission, und alles, was von ihnen bleibt, ist ein kurzes Flimmern über den Bildschirm und die Erkenntnis, dass wir unsere Steuergelder nie mehr wieder bekommen. bae80cca3b00494f9fe5be9cffb97abf

    Der größte, unverzeihliche Betrug dieser Marktschreierei ist natürlich, dass man uns glauben macht, man müsste arbeiten, um sich etwas kaufen zu können. So funktioniert das System. Wenn niemand mehr einkaufen würde – und ich rede freilich nicht von Produkten der Grundversorgung –, dann würde das lustige Kartenhaus aus Produktion und Konsum über dem Sand, auf dem es gebaut ist, in sich zusammenfallen.

    Weil die Hersteller und die Unternehmen zugrunde gehen würden. Wir arbeiten also nicht nur in unserer Arbeitszeit für die Unternehmen, sondern auch, wenn wir einkaufen. Sollte es wirklich einmal zum Einsturz kommen, bin ich gespannt, wer den Dreck wegräumen darf. Klar, immer die selben: die viel gelobten Bürger, also wir.

    Wobei „Bürger“ als Bezeichnung für den Durchschnittsdeutschen im herkömmlichen Sinn ein Unsinn ist. Die Bourgeoisie gehört zur Oberschicht, die sich lieber guillotinieren lässt, als dass sie einen Dreck wegmacht. Der normale Bürger gehört längst dem Proletariat / Prekariat an und schlägt sich jeden Tag damit herum, auf Rechnung zu arbeiten. Und dafür, nicht noch eine Stufe tiefer zu rutschen. Was würden da die Nachbarn sagen? Und wie das Kind plärren, wenn es wegen der beruflichen Rutschpartie der Eltern kein iPhone5 kriegt? Gott bewahre! (Dafür geh ich doch an Weihnachten in die Kirche. Zumindest per Stream.)

    Die berufliche und gesellschaftliche Unsicherheit, welche uns täglich an den Rand der Erschöpfung und geistigen Störung drängt – oder dann doch einmal darüber hinaus -, wird zudem durch die globalen Krisen unterstützt, verdoppelt, verdreifacht. Falls wir noch in der Lage sind, Bilder und Worte zu verarbeiten, die uns zeigen, wie es wirklich auf dieser Welt zugeht. Es herrscht nämlich Krieg. Ob auf dem Felde oder auf dem Finanzmarkt und wenig später auf dem Felde, ist nebensächlich.

    Und zwischen den Schlachten thront die Kanzlerin, unsere Mutter-Kartoffel, die uns einmümmelt: „Deutschland geht es gut.“ Hanebüchener Unsinn. Deutschland ist auch Natur und Tier und denen geht es dank Atommüll, Autobahnisierung, Freihandelsabkommen TIPP (wir berichteten: http://goo.gl/gQ4Owz) und Massentierhaltung alles andere als gut. Aber hey, Pringels gibt es jetzt auch in der Fünf-Familien-Packung, mit 30 Prozent weniger Geschmack! Geil!

    So ist es kaum verwunderlich, dass seit den 90er Jahren die Deutschen auf ein Wort besonders abfahren: Sicherheit. Wo früher die Jugend Rock 'n' Roll gehört hat, hört sie heute etwas über „Sicherheit“ und Songs, die nur wegen einer Limonadenmarke bekannt werden. Aufstand? Gefällt mir! Feiern? Mit angezogener Handbremse und dem Schnaps am Mann. Skifahren? Ein Mördersport! Aber nicht, weil die Natur darunter leidet, sondern ein ehemaliger Rennwagenfahrer. Sogar Langlaufen ist gefährlich, wenn schon die Kanzlerin dabei stürzt. Die ist schließlich die Meisterin der Sicherheit. Deswegen hielt sie auch eine Rede zur diesjährigen NATO Sicherheitskonferenz in München.

    Und eben diese Sicherheitskonferenz ist ein schönes Beispiel, wie man Elend, Leid und Tod ganz bürgerlich, ganz ungefährlich mitten unter uns verhandeln kann. Die SIKO fand vom 31. Januar bis 2. Februar in München statt. Zum 50. Mal.

    Die SIKO, bei der sich wieder alles die Hand gab, was Rang und Namen hat: von der Leyen, Biden, Lawrow, Sarif, Steinmeier, UN-Generalsekretär(!) Moon, Schmidt, Kissinger, Rice, US-Verteidigungsminister Hagel, Kerry und natürlich de Maizière (ja, ja, das mit Rang und Namen war ein Floskel).

    Gastgeber war freilich wieder der ehemalige Diplomat Ischinger. Der sympathische Wolfi. Der Mann mit dem netten Lächeln, dem die Kindersoldaten vertrauen. Unser Bundesprediger Gauck hielt sogar die Eröffnungsrede. Unser BuPre, der Vertreter aller christlichen Werte. Er vertritt sie auch, wenn er nicht auftritt, wie in Sotschi. Dieser politische Heilige hielt also die Eröffnungsrede für eine Waffenmesse und keiner stört sich daran. Eben wie man sich auch nicht daran stört, dass Demonstranten für den Frieden wegen Kinkerlitzchen von gepanzerten Polizeieinheiten aufgehalten wurden. Schikane? Nicht doch! Die hatten Banner. Und wenn sie, diese Friedensfanatiker, nicht stundenlang in der Kälte stehen wollen, dann müssen sie halt zuhause bleiben.

    Es werden derzeit viele Grenzen des Anstands und des gesunden Menschenverstandes übertreten. Und die Übertreter müsste das eigentlich sofort in den Abgrund führen.

    Aber das SIKO-Konzept geht auf. Man hat den ehrlicheren Begriff „Wehrkundetagung“, an dem sich Staatsmänner wie der F.J. Strauß nicht gestört haben, umgewandelt in Sicherheitskonferenz. Und so konnten heuer 20 Staats- und Regierungschefs, über 50 Außen- und Verteidigungsminister sowie diverse Bosse von „internationalen Organisationen“ besten Wissens und Gewissens bereits zum 50. Mal über globale Wehrkunde disputieren, recht gemütlich im Bayerischen Hof.

    Die Medien haben sich indes schon Tage davor mit Berichten über die Demonstrationen überschlagen und obendrein etwas von einem 50-jährigen Jubliäum getitelt. Ist das noch Zynismus, oder schon menschenverachtende Hörigkeit? Am Schluss blieb das Fazit: Die 3100 Polizisten (was des wieder kost!) haben alles sichergestellt, nur der Herr Schuhbeck wurde ungerechtfertigt von Staatsdienern aufgehalten. Ein Koch, der sich für Kriegstreiber an den Herd stellt, sollte auch polizeilich festgehalten werden. Am Schluss durfte er aber an den Topf, der Fonsi. Was es für die Damen und Herren Feines zu speisen gab, liest man hier: www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchner-sicherheitskonferenz-die-siko-in-zahlen-1.1877256 (was des wieder kost!).

    Sogar eine Jubiläumspublikation gibt es, in der oben genannte Merkelrede abgedruckt ist, die darin erklärt, dass die Teilnehmer der SIKO für Frieden, Freiheit und Sicherheit stünden. Die SIKO wird heut 50 Jahr, darauf ein Trommelfeuer, um-tata.

    Das Programm der Konferenz findet man übrigens hier: https://www.securityconference.de/veranstaltungen/munich-security-conference/msc-2014/programm/. Falls es jemanden interessiert, wie die Damen und Herren das bezeichnen, was immer sie da tun, um ihre Sponsoren wie Krauss-Maffei zu befriedigen.

    Freilich, die Demos gegen die SIKO helfen eigentlich nix. Wenn Demos etwas helfen würden, wären sie verboten und nicht nur streng reguliert worden. Also muss man nicht zur Demo. Nein. Man muss nix, außer sterben. Man kann sich die Demo sicherlich auch per Stream, etc. anschauen. Und die Kriege in den Nachrichten. Schön portioniert, schön bequem, mit einer Tüte Chips neben der Couch. 100 Prozent mehr gefühlte Sicherheit, 100 Prozent mehr Wurschtigkeit, 100 Prozent daneben.

    Was helfen könnte: nichts tun. Sich verweigern. Arbeit und Chips zurück ins Regal legen. Und ganz gemütlich denken: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“

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