Dr. Philipp Rösler und die FDP

26 September 2011
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Sah ein Staat ein' Rösler stehen, Rösler ganz alleine2aad2cb9bd694cfe9d3eed8fde3bc1e3

Oh, oh, oh, der FDP geht es gar nicht gut. So krank, so blassgelb ist sie, dass ich jeden Tag in der Zeitung nachschaue, ob zwischen den Todesnachrichten ein Nachruf auf die neo-liberale Wüterichpartei steht. Mühsam und röchelnd errang sie 1,8 Prozent der Stimmen bei der Wahl in Berlin.

Damit wankt sie schwächer als die rechtsextreme NPD von diesem Wählerfang nach Haus – auf FDP-Rebstock Brüderle bezogen kann man wanken wohl wortwörtlich nehmen, aber wenigstens wurde gescheit gewankt, denn, wie er unlängst gegenüber dem SWR versicherte: „Wir sind solidarisch, aber nicht blöd." (Bezüglich der schlimmen Lage von Griechenland, an der hauptsächlich deutsche Banken und Deutschland Schuld sind.) Man kann sich gegenüber der FDP mit Häme durchaus zurückhalten. Mit Mitleid allerdings weitaus mehr.

Wer im gleißenden Schein der Gier hirnlos bis zur Erschöpfung ein Loch gräbt und fröhlich grölend einen Grabstein mit seinem Namen darauf dazustellt, darf sich nicht wundern, wenn sein Kreislauf zusammenbricht und er in das Loch fällt und ein Totengräber daraufhin staatstreu seine Proletenarbeit verrichtet. Da helfen keine Populismus-Pillchen mehr. Das wird die FDP bald merken, wenn ihre sinnlose Hatz auf die Kanzlerin und ihren Thron gestoppt, also in Merkels Fall: ausgesessen wird.

Wir leben ja in einer Zeit, da Parteien nicht mit Programmen oder Taten, sondern nach ihren populären Köpfen definiert werden. Diese Köpfe wiederum definieren wir nach Art des Auftretens, Aussehens, Aufschneidens und Ausscheidens. Merkels Mundwinkel sind für die meisten unterhaltsamer und prägnanter als das, was sie so sagt, wenn sie was sagt, also überhaupt, von Bedeutung, Inhalt und Sinn will ich gar nicht anfangen. Die verschiedenen Regierungspaläste sind Bühnen, mit dem Bundestag als Hauptbrettl, wo überbezahlte Schauspieler schlecht, recht schlecht oder saumäßig Politiker spielen. Und noch etwas ist interessant: Wir betrachten die erwähnten Köpfe nur im Jetzt-Zustand. Vergangenheit, Hintergrund und so weiter, das ist alles egal. So ein Kopf hat keine vielschichtige Person zu sein, mit Problemen und geistigen Defiziten aufgrund von Drogen oder Unfällen. So ein Kopf soll funktionieren.

Kein Wunder, dass diese Köpfe alle wie ferngesteuerte Essiggurken herumtaumeln, Scheißdreck reden und veranstalten und verabschieden. Wir wollen jetzt den Kopf der FDP am Schopf packen und betrachten. Einen Kopf, der derzeit durch unverständlichen Schwurbel und unverschämte Äußerungen immer unerträglicher und unhaltbarer wird, obwohl er erst mit 45 (Jahren, nicht Prozent) aus der Politik aussteigen möchte: Dr. Philipp Rösler, der Blitzableiter seiner Partei und Koalition.

In meinem Milieu wird Dr. Philipp Rösler, Bundesvorsitzender der FDP und Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, nie "Dr. Philipp Rösler" oder: "Bundesvorsitzender der FDP und Bundesminister für Wirtschaft und Technologie" genannt, sondern immer "Wurstkopf", "Lang-ist-der-eh-nicht-mehr-da" oder: "Ha-ha-DER-ha-ha-ha!" Ob das an meinem Milieu oder an Rösler liegt, vermag ich nicht zu sagen, andere Milieus sind mir ja fremd, denn ein gesunder Mensch hat nicht mehrere Milieus zur gleichen Zeit. Jemand wie Rösler schon.

Zum einen wäre da sein privates Milieu, das sich in seiner Kindheit gespalten hat, und zum anderen sein berufliches, das sich schon länger so linear verhält wie Wetter und Unwetter, wenn es vom Pazifik her wieder recht stürmt. Wenn man ihn sieht, merkt man das nicht. Mit schwarzem Schopf, gelben Gedanken – die keine Grenzen kennen – und goldigem Lächeln agiert er vor den Kameras. Aber ich stelle mir vor, wie es hinter der Fassade brodelt, wie es an ihm zerrt, das Versagen seiner Partei, wie er Westerwelles Stimme hört, die "Warte, warte nur ein Weilchen, dann hängst auch du am Hartz-IV-Seilchen" flüstert, wie er sich die Umfragewerte zu Herzen nimmt und sich abends allein das Schopferl rauft und versucht sich irgendetwas Gutes auszudenken, das ihn und seinen Versagerverein wieder einigermaßen beliebt macht.

Zum großen Schaden für ihn, aber zur kleinen Freude für die nicht neoliberale Menschheit geht er vor wie die Axt im Wald, überschätzt sich zum Beispiel selbst in einem Maße, dass ihn sogar der mobile, langmütige Onkel Schäuble, der eigentlich gerne mal Fünfe grade und große Geldbeträge in der Schublade lässt, scharf tadelt. Autsch. Dabei müsste Rösler, der seit 2000 ein guter katholischer Christ ist, doch wissen: Gute Kinder bekommen Schokolade und Nüsse, böse Kinder bekommen mit der Rute eins auf die Nuss. An diesem Rösler-Fauxpas ist wieder einmal seine Verfransung Schuld, sein Hang, sich auf viele Milieus aufzuteilen, ohne zu bedenken, dass der rollende Platzhirsch Schäuble etwas dagegen hat, wenn ihm ein anderer seinen Wald vollbrunzt.

Und genauso gedankenlos stellt er sich als heroischer Führer an die Spitze seines maroden Haufens, um gen Mutter Merkel zu marschieren. Und sein Haufen folgt ihm begeistert, will „Kante zeigen“ (FDP-Vizechef Zastrow), tut so, als hätte er nie eine Schlacht verloren. Generalsekretär Lindner erklärte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass das Wahldebakel kein Grund sei, vom neuen Kurs (interessant: in Zeiten der neoliberalen Herrschaft darf sogar eine inhaltslose Hetzpropaganda „Kurs“ genannt werden) abzuweichen. Die Euro-Debatte werde weitergeführt, führte Lindner weiter aus, weil Rösler wolle, dass der europäische Stabilitätsmechanismus auch um ein Staaten-Insolvenzrecht ergänzt werde. Zack, bumm, die Fundamente des Kanzlerbüros zittern sicher immer noch.

Während es in der FDP dermaßen brodelt und blubbert, erklärt uns das Oliver-Geißen-Abziehbild Daniel Bahr, Landesvorsitzender der FDP Nordrhein-Westfalen (die der SPD und den Grünen nicht gut genug für eine Ampelkoalition ist), ganz ruhig, dass man die neuen Vorgänge wie bei einem Fußballspiel sehen müsse. „Die zweite Halbzeit“ werde schließlich erst noch gespielt, „da kann man ein Spiel noch drehen“, das habe er bei seinem favorisierten Verein, den – wie passend – schwarz-gelben Borussen, am Wochenende leider gesehen. Beim BVB wird übrigens auch schon von einer Krise gemunkelt. Wie passend.

Und dann hört man wieder, dass sie gar nicht kämpfen wollen, die Gelben, nein, sie wollen sich nur „wehren“ (wieder dieser Zastrow). Und Rösler will, „dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt. Dafür brauchen wir eine Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.“ Hm, wie wäre es, wenn man seitens der FDP aufhören würde den Bürgern den Arsch vollzulügen und den Hilfs-Zaster nicht in die deutschen Banken pumpt, sondern Griechenland wirklich hilft? Wäre das nichts?

Zurück zur Realität. Eine mögliche Ursache von Röslers Verwirrtheit und zwanghafter Neigung zum Lügen und Betrügen, könnte die Milieu-Vermischung in seiner Kindheit sein. Wie schon erwähnt, wollen wir nicht nur die Jetzt-Figur von Rösler ansehen. Rösler wurde in Vietnam geboren, während des US-amerikanischen Einmarsches, in dem Dorf Khánh Hung. Namenlos und ohne genau bestimmtes Geburtsdatum wurde er in ein katholisches Waisenhaus in Saigon gebracht. Dieser Vorgang, erklärte Rösler einmal einem Reporter von der "BamS", sei vergleichbar mit dem Ablegen eines Säuglings in einer modernen Babyklappe.

Diese Aussage, erkläre ich jetzt, lässt auf zwei Folgen seiner Milieu-Mischung schließen: Er nutzte seinen exotischen Geruch gekonnt aus, um auf den politischen Olymp zu kraxeln, allerdings hat das Verlassen und sein trauriger Lebensbeginn Spuren im Röslerherz hinterlassen. Aber muss man deswegen in die FDP eintreten? Mit circa neun Monaten wurde er adoptiert, von dem niedersächsischen Ehepaar Rösler, nach Deutschland gebracht und Philipp genannt. Aber muss man deswegen in die FDP eintreten? Als er vier Jahre alt war, trennten sich seine Adoptiveltern. Und da war es wieder nichts mit heiler Welt und Sicherheit. Aber muss man deswegen… Ja, ja, schon gut.

2003 wollte Rösler kein Doktor mehr, sondern ganz und gar FDP-Politiker sein (er hatte Medizin studiert und bei der Bundeswehr gearbeitet). Das könnte einen nervös machen. Ärzte gelten als anständige, intelligente Menschen, die sich um das Wohl der Menschen sorgen. Rösler lässt einen zweifeln: Sind vielleicht noch mehr Ärzte Wähler oder gar Mitglieder des gelben Geisterschiffs? Hilfe, ist mein Arzt etwa ein FDPler?! Ich gehe zur Sicherheit sogleich in seine Praxis, und seine Wuschelfrisur, sein Kassengestell und seine Gesundheitssandalen beruhigen mich. Der wählt nicht einmal die Grünen.

Röslers Spaltzwang macht sich sogar in puncto „Engagement“ bemerkbar. Seit 2008 ist er Mitglied der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, gleichzeitig ist er Vorsitzender des Kuratoriums der Robert-Enke-Stiftung. Wo der Bruch ist? Zwischen der kirchlichen Haltung gegenüber Selbstmord und Enkes Selbstmord zum Beispiel. Zudem muss ein „guter“ Katholik bescheiden und demütig sein, womit der Vorsitz bei einer populistischen Stiftung nichts gemein hat. Freilich hat auch der Parteivorsitz bei, nein, bereits die Wahl einer FDP nichts mit katholischen Werten gemein, da fängt's ja schon mal an. Trotzdem ist Rösler ab 1992 eifrig und neoliberal hinan marschiert – stetig zwischen den verschiedenen Aufgabengebieten und Interessen hin und her schwankend. Unter anderem hat er 2010 als Gesundheitsminister den ehemaligen stellvertretenden Direktor des Verbandes der privaten Krankenversicherung (PKV), Christian Weber, zum Leiter der Grundsatzabteilung im G-Ministerium erhoben (Interessenkonflikt: Versichertenschutz vs. Gewinnstreben), sprach als Minister für Wirtschaft und Technologie davon, mehr Fachkräfte aus dem Ausland zu holen und ihnen die Arbeits- und Lebensbedingungen zu erleichtern (Interessenkonflikt: seine aktuelle aggressive antieuropäische Politik – aber klar, bei Geld hört die Freundschaft auf). Und 2011 durfte er sich endlich an die Spitze seiner Schotter-Schutztruppe stellen, als Chef und Vizekanzler.

Sein Schwanken ist freilich nicht das eines Herrn Brüderle, da dem Asiaten Rösler ein Enzym zum Alkoholabbau fehlt und er sehr vorsichtig sein muss mit Bier, Wein und ihren zahlreichen Verwandten. Man hört auch nie etwas über Eskapaden mit Frauen oder Männern oder Tieren. Er ist also ein anständiger, der Dr. Rösler. Moment, hatten wir nicht schon mal so einen Typen, der nicht trank, Deutschland in eine goldene Zukunft führen wollte und keinen Sex hatte?

Ich kann es übrigens immer noch nicht glauben, wenn ich den Rösler sehe, dass er wirklich unser Vizekanzler ist. Da hat sogar Westerwelles Visage und Gehabe noch besser zum Titel gepasst. Derweil wird Westerwelle seinem alten Posten wohl nicht nachtrauern, während er durch die Welt rast und lustig treiben kann, was er am besten kann: diversen Firmen Aufträge verschaffen (Waffen, Energieressourcen, Wasser, Waffen, Wasser, etc.). Derweil hängt die sinkende Fregatte FDP Rösler am grazilen Hals, und er rudert wild mit den Armen, ohne zu merken, dass er die See damit nur noch mehr aufwiegelt.

Der neue FDP-„Kurs“ indes, dieser Versuch, die Kanzlerin anzugreifen (diese wird sich kaum zu Tode fürchten, sondern höchstens totlachen), ist also ein letztes, hilfloses Aufbegehren, ein Finger, der sich zitternd aus der sich aufhäufenden Graberde reckt. Und sogar aus dem ARD-Hauptstadtstudio, also seitens der regierungstreuen Öffentlich-Rechtlichen, tönt es:

„Es reicht: Die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Berlin ist am Ende, höchste Zeit für Neuwahlen. Und zwar jetzt.“ (Aus dem Kommentar von Claus Heinrich.) „Politikverweigerung“ sei das ganze Koalitionskonzept gewesen, schrieb Heinrich. Stimmt. Warum man das jetzt erst erkennt, warum sich die Masse immer erst lange Zeit verarschen und ausbeuten lässt, bevor sie zur Mistgabel greift, ist und bleibt wohl ein Rätsel.

Jetzt aber haben die Menschen aufgrund der Koalitionsuntaten und der herausgeforderten Griechenlandkrise (wieder einmal) große Angst um ihre Zukunft. Die FDP ist vom großen liberalen Befreier und Bürgerfreund zum Feindbild geworden. Das ist nicht überraschend, sondern zwangsläufig. Überraschend ist vielleicht das Tempo.

Ja, das Röslein ist wild entsprungen und fühlt sich wohl gedrungen, noch toller sich zu geben - ohne recht's Bestreben – außer der Macht. Die ist der einzige Grund, warum Rösler wie ein tollwütiger Köter nach der letzten Hand, die ihn noch füttert, schnappt (seine Insolvenzgesetz-Forderung kann es nicht sein, kann nicht der Grund sein, ist sie doch weniger aussagekräftig als ein kräftiges bayerisches Bierbäuerchen). Die Macht aber mag man ihr nicht mehr geben, der siechenden FDP. Warum Rösler wiederum das nicht erkennt und anerkennt? Warum er nicht ruhig über die Misere nachdenkt, um zum richtigen Schluss zu kommen, dass die Menschheit halt keine Kapitalkasperlpartei wie die FDP braucht (laut dem ZDF „Politbarometer“ hält jeder Zweite im Lande die FDP für überflüssig)? Warum er nicht dementsprechend Schluss macht und sich so einen Hauch von Würde, Erkenntnis und Mut aufsprüht? Sogar Brüderle rät dazu, gegenüber dem ARD-Morgenmagazin: „Es geht darum, das Richtige für Europa zu tun.“ (Freilich wieder bezüglich der argen „Krise“.)

Na bitte, also weg mit dem Dreck. Vielleicht ist Rösler ja nur zu verwirrt von seinem Tanz in den verschiedenen Milieus. Denn nicht mal ein FDPler kann glauben, dass das Verhalten von Dr. Rösler der FDP nützt, sie wieder beliebter macht und aus der 1,8-Prozent-Hölle holt. Er sollte lieber jetzt raus aus der Politik und die gelb-schwarze Krawatte gegen den weißen Ärztekittel tauschen, dann kann er sich selber Beruhigungsmittel verschreiben.

Noch ist Rösler Bundesvorsitzender der FDP und Bundesminister für Wirtschaft und Technologie. Sieges- und zukunftssicher, fest im Glauben, Zeus' Blitze und Heras Hagel werde er schon überstehen, notfalls etwas gebeutelt und gerettet von einer goldenen Sprosse der wirtschaftlichen Karriereleiter. Jedoch weiß man, dass ein Blitz meist in einsam dastehende Bäume oder Gebilde oder Menschen kracht. Und dass heftiger Hagel weh tut. So wird der „Staat“ wohl zusehen, wie der anständige, gläubige, alkfreie Dr. Philipp Rösler im Stehen vollends gespalten, geröstet und zerhagelt wird.

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Schlagwort :
Andrea Limmer

Freie Journalistin

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